Vom Tabu zum Thema: Wie Führungskräfte psychische Gesundheit fördern

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Psychische Probleme sind in vielen Unternehmen immer noch ein Tabu. Doch die Statistik ist alarmierend: 276 Ausfalltage je 100 Versicherte verursachten mentale Belastungen im Jahr 2021 – 41 Prozent mehr als noch vor zehn Jahren, so der DAK-Report. Außerdem ist die Krankheitsdauer bei psychischen Belastungen mit 39 Tagen dreimal so hoch wie bei anderen Erkrankungen mit 12 Tagen.

Diese besorgniserregenden Zahlen sind ein deutliches Zeichen, dass es höchste Zeit für Unternehmen ist, selbst die Initiative für die mentale Gesundheit ihrer Mitarbeitenden zu ergreifen. Doch welche Maßnahmen sind hierfür genau erforderlich? Welchen Einfluss hat Teamkultur auf das Wohlbefinden? Und welche Rolle spielen Führungskräfte bei der Etablierung eines gesundheitsfördernden Arbeitsklimas?

Um Antworten auf diese Fragen zu finden, haben wir uns mit der systemischen Coachin Claudia Göritz unterhalten. Auf der voiio-Plattform bietet sie persönliche Beratung zu Burnout-Prävention und Konfliktmanagement an, führt aber auch Webinare zu Zeitmanagement, Umgang mit Stress und Kommunikation im Arbeitsleben durch. Dank ihrer langjährigen Erfahrung liefert sie wertvolle Einblicke ins Thema.

 

Stela von voiio: Schön, dass du dir Zeit für ein Interview genommen hast. Möchtest du dich erstmal kurz vorstellen?

Claudia Göritz: Sehr gerne. Ich bin Claudia Göritz, systemische Coachin und psychologische Beraterin. Ich bin Verwaltungswissenschaftlerin von Haus aus und habe mich im Studium auf Personalentwicklung und Outplacement spezialisiert. Meine Schwerpunkte liegen genau in diesem Bereich – Führungskräfteentwicklung, Life-Coaching und berufliche Neuorientierung.

voiio: Basierend auf deiner Erfahrung als psychologische Beraterin – was sind die häufigsten Faktoren, die am Arbeitsplatz zur psychischen Belastung führen können?

Claudia: Sehr wichtig für die psychische Gesundheit von Mitarbeitenden sind die Umgebungsbedingungen – Raum, Lautstärke, Licht usw. Das sind Faktoren, die man relativ einfach umstellen kann, indem man den Angestellten einen passenden Raum zur Verfügung stellt.

Ein weiterer Faktor, der sehr stark mit reinspielt, ist auch die Art der Zusammenarbeit – was habe ich für Kolleg:innen; kommen wir miteinander klar; wie ist das Team aufgebaut? Wenn ich morgens ins Büro gehe und denke: „Oh Gott, schon wieder mit diesen Leuten zusammenarbeiten“, ist das eine enorme psychische Belastung, die man nicht außer Acht lassen darf.

Workload ist natürlich auch ein Thema, das sehr viel ausmacht. Die Arbeitsbelastung kann sich aus verschiedenen Faktoren zusammensetzen, wie z.B. der Anzahl der Aufgaben, dem Zeitdruck, dem Schwierigkeitsgrad der Aufgaben, der Häufigkeit von Überstunden. Eine zu hohe Arbeitsbelastung kann zu übermäßigem Stress und Erschöpfung führen, was sich auf die Leistung und das Wohlbefinden auswirken kann.

Über meine Fortbildungen habe ich auch die Wichtigkeit der eigenen Persönlichkeit für das Wohlbefinden am Arbeitsplatz kennengelernt: Wenn die Arbeit und die Persönlichkeit nicht optimal zusammenpassen, ist das in den meisten Fällen problematisch. Zum Beispiel: Ich bin sehr introvertiert, soll aber das Sales Team leiten. Dann bin ich permanent unter Stress, weil das ja gegen meinen Charakter, gegen meine Art geht. Das führt dazu, dass ich versuche, z.B. durch längere Arbeitszeiten die enorme Arbeitsbelastung zu bewältigen. Dadurch gerate ich jedoch wieder in ein überhöhtes Workload und die Spirale fängt von vorne an.

voiio: Welche sind die Symptome von arbeitsbedingten psychischen Belastungen? Inwieweit wird auch die körperliche Gesundheit dadurch beeinträchtigt?

Claudia: Psychische und körperliche Gesundheit würde ich hier zusammen betrachten, weil sie sich gegenseitig beeinflussen. Schlaflosigkeit als Folge von Stress ist zum Beispiel psychisch immer eine Belastung, aber natürlich auch körperlich, da der Körper während des Schlafs regeneriert und wichtige Prozesse durchführt, die für unsere körperliche Gesundheit essenziell sind. Bei manchen Menschen drückt sich Stress auch in Kopf-, Bauch- und Rückenschmerzen aus.

Unruhe ist ebenfalls ein mögliches Symptom – man ist unleidlich und gerät schnell aus der Fassung. Und bei manchen äußern sich psychische Belastungen ganz stark in einer Art Apathie oder Lustlosigkeit. Betroffene fühlen sich häufig müde und antriebslos, haben Schwierigkeiten, motiviert zu bleiben und können sich nur schwer für ihre Arbeit begeistern.

voiio: Wie genau wird die Produktivität der Mitarbeitenden dadurch beeinträchtigt?

Claudia: Unter Produktivitätsverlusten kann sowohl die psychisch belastete Person, als auch das ganze Team leiden. Die betroffenen Mitarbeitenden ignorieren in der Regel die ersten Warnzeichen einer psychischen Belastung und versuchen ihre Arbeit wie gewohnt fortzusetzen. Das Problem verschwindet jedoch nicht von selbst und kann sich im schlimmsten Fall zu einem schwerwiegenden Burnout oder einer Depression entwickeln, die ärztlich zu behandeln sind. Das führt dann zu einem langfristigen Ausfall.

Infolgedessen müssen die Kolleg:innen oft eine zusätzliche Last tragen – sei es, weil die betroffene Person noch im Team ist, aber nicht mehr in der Lage ist, ihre volle Leistung zu erbringen, oder weil sie ausgefallen ist und die Arbeit zwischen den anderen aufgeteilt werden muss. Dies kann zu Spannungen innerhalb des Teams führen, was ebenfalls eine negative Wirkung auf das Arbeitsklima und die Produktivität hat.

voiio: Du hast bereits darauf hingewiesen, dass die Teamkultur eine unerlässliche Voraussetzung für die psychische Gesundheit der Mitarbeitenden ist. Wie können Führungskräfte zu einer gesundheitsfördernden Teamkultur im Unternehmen beitragen?

Claudia: Als Führungskraft bin ich ganz stark gefordert. Führungskraft heißt nicht nur, dass ich für die Aufgabenverteilung im Team verantwortlich bin, sondern ich muss auch meine einzelnen Mitarbeitenden kennen und mich um ihre Bedürfnisse kümmern. Wenn ich an meinen Mitarbeitenden nah dran bin, habe ich sozusagen eine Antenne für mögliche Warnzeichen von psychischer Belastung. Das heißt, ich muss als Führungskraft in der Lage sein, beispielsweise Lustlosigkeit und Apathie zu bemerken.

Ich sollte jedoch auch darauf achten, wie meine Teammitglieder miteinander umgehen. Denn es ist von großer Bedeutung, dass sie effektiv zusammenarbeiten können, sich ergänzen und sich gegenseitig unterstützen. Sollte es jedoch vorkommen, dass der Umgang untereinander nicht mehr stimmt, muss ich als Führungskraft sofort einsteigen und Maßnahmen ergreifen, um das Problem zu lösen. Ich sollte nicht nur beobachten, sondern umgehend handeln und die Ursache des Problems ermitteln: 

Liegt es am Arbeitsaufwand, den Aufgaben oder an meiner Führungsweise? Oder liegt es möglicherweise an einer Veränderung im Team, beispielsweise durch den Ein- oder Austritt einer/s neuen Mitarbeitenden? In solchen Fällen sind eine positive Teamkultur und ein enges Verhältnis zu den Angestellten besonders wichtig.

voiio: Gibt es auch konkrete Maßnahmen, die man als Führungskraft ergreifen kann, wenn man merkt, dass ein Teammitglied psychisch belastet ist?

Claudia: Eine erfolgreiche Führung erfordert ein vielfältiges Instrumentarium, das je nach konkreter Situation angewendet werden kann. Als Führungskraft muss man in der Lage sein, das Problem zu erkennen und aus verschiedenen Werkzeugen zu wählen, um es zu lösen. Eine Möglichkeit dies zu tun sind Coachings – sowohl für Einzelpersonen als auch für das ganze Team. Wenn die Führungskraft Symptome psychischer Belastung bei einer/m Mitarbeitenden bemerkt, kann sie ihr oder ihm anbieten, sich von einer Fachperson beraten zu lassen.

Und in Fällen, wo ein Teammitglied ausfällt und dadurch die anderen durch den gestiegenen Arbeitsaufwand überfordert werden, eignet sich ein Teamcoaching. Natürlich kann man sich als Führungskraft auch selbst fragen: “Wie kann ich mein Team unterstützen? Wie kann ich die Struktur verbessern?”. Doch es ist immer sehr nutzbringend und manchmal sogar unumgänglich, die Außenperspektive einer Beraterin oder eines Beraters hinzuzuziehen.

voiio: Welche Maßnahmen können Unternehmen treffen, um mehr Bewusstsein für das Thema “Mentale Gesundheit” zu schaffen?

Claudia: Damit psychische Belastungen in Unternehmen nicht stigmatisiert werden – und das ist in Deutschland leider immer noch der Fall, braucht es eine starke Unternehmenskultur. Sie soll jedoch nicht nur auf dem Papier stehen, sondern wirklich von oben nach unten und von unten nach oben vorgelebt werden.

Es ist für Mitarbeitende und Führungskräfte wichtig, zu erkennen, dass ein psychisches Tief nicht immer Depression oder Burnout bedeutet. Oftmals sind psychische Belastungen das Ergebnis davon, dass Mitarbeitende ihre Grenzen nicht kennen oder sie nicht richtig kommunizieren können. In solchen Fällen kann man sich mit geeigneten Maßnahmen wie Zeitmanagement, Selbstmanagement oder klaren Zielformulierungen aus dem Tief herausarbeiten. Daher ist es entscheidend, bei sich selbst anzufangen und den Grund für die Belastung zu erkennen.

Außerdem trägt eine offene Feedback- und Fehlerkultur in Unternehmen dazu bei, dass Mitarbeitende ihre eigenen Fehler akzeptieren und gemeinsam Lösungen finden. Wenn Fehler “normalisiert” werden, verschwinden auch der äußere Leistungsdruck und der innere Druck, immer perfekt sein zu müssen.

Führungskräften muss es bewusst sein, dass Mitarbeitende unterschiedlich mit Stress und Arbeitsbelastung umgehen. Um die Aufgaben gerecht aufzuteilen und die Arbeit effektiv zu steuern, müssen Manager:innen deshalb die individuellen Arbeitsstile und Belastungsgrenzen der Mitarbeitenden kennen. Dafür brauchen sie natürlich regelmäßig die Gelegenheit, mit ihnen ins Gespräch zu kommen – und nicht nur einmal im Jahr. Potenzialanalysen können dabei als Guideline helfen.

voiio: Welche Botschaft möchtest du zum Schluss an die Unternehmen, aber auch an die Mitarbeitenden richten?

Claudia: Aus meiner Sicht ist es für Unternehmen und Führungskräfte entscheidend, alte Denkmuster und dem althergebrachten “Das haben wir schon immer so gemacht.” hinter sich zu lassen und neue Ansätze anzuwenden. Es ist wichtig, sich mit den heutigen Möglichkeiten auseinanderzusetzen und zu überlegen, wie man das Beste für die Mitarbeitenden und das Unternehmen daraus machen kann. Nicht jede Strategie wird in jedem Unternehmen gut funktionieren. Hauptsache: ausprobieren und nicht gleich ablehnen!

Gleichzeitig sollten Mitarbeitende nicht vergessen, dass Wertschätzung, Lob und Dank keine Einbahnstraße sind: Sie sollten nicht nur von der Führungskraft kommen, sondern auch in umgekehrte Richtung gehen. Wenn Mitarbeitende sich bei ihrer Führungskraft bedanken und deren Leistungen anerkennen, motiviert das auch die Führungskraft, wieder auf die Mitarbeitenden zuzugehen. Dann kann man auch wunderbar zusammenarbeiten. Eine solche kollegiale Beziehung verträgt viel mehr Belastung und trägt erheblich zur psychischen Gesundheit bei.

voiio: Vielen Dank für das Gespräch und den wertvollen Input!

 

Sind Sie bereit, die psychische Gesundheit Ihrer Belegschaft zu fördern? Auf voiio finden Mitarbeitende vielfältige Angebote zum Umgang mit Stress und Selbstachtsamkeit bis hin zu individueller psychosozialer Beratung von Claudia Göritz und anderen Expert:innen. Führungskräfte erhalten in Workshops Anregungen, wie sie ihr Team sinnvoll unterstützen.

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